Die Heimsuchung des Markus S.
Die ganze Wahrheit über eine Anweisung Markus war an diesem Abend allein in seinem fränkischen Heim. Karin, seine Frau war mit den Kindern unterwegs um in der Firma nach dem Rechten zu sehen. Karin! Anfang der 90er Jahre hatte das Kabinett beschlossen, daß Ministerpräsident nur werden kann, wer eine Ehefrau hat, die Karin heißt. Der Stoiber Edi sollte der erste in der Reihe der Karinisten, wie man die Landesväter seither nennt, sein. Und Markus hatte seine Karin Ende der 90er geheiratet und war damit eigentlich schon bereit, das Amt zu übernehmen. Aber er musste ja vorher noch den Horst ertragen. Markus nippte an seinem stillen Mineralwasser und musste innerlich schmunzeln, als er daran dachte, wie der Beckstein Günther alle an der Nase herumgeführt hatte und den Namen seiner Frau Marga so nuschelte, dass alle Welt Karin verstand. Als er nach einem Jahr im Amt mit seiner Geschichte aufflog, musste er gehen. Das Schmunzeln verflog sehr schnell wieder, als Markus an die Kabinettssitzung am nächsten Tag dachte. Seit 5 oder 6 Wochen war er jetzt schon der Chef und langsam würde es Zeit, etwas für das eigene Profil zu tun. Die Gesetzesvorhaben, die gerade in aller Munde waren wurden ja noch unter seinem Vorgänger erarbeitet. Von der Kabinettsumbildung war in der Öffentlichkeit höchstens noch im Gespräch, wie er seinen treuen Vasallen und Förderer Spaenle abserviert hatte. Aber was sollte er auch mit einem Spaenle im Kabinett, wenn Berlin schon einen ganzen Spahn hat? Markus nahm noch einen kräftigen Schluck Frankenbrunnen. Nein, es war an der Zeit, etwas eigenes zu schaffen. Etwas Großes, etwas für die Ewigkeit. Markus ging in Gedanken durch, was andere große Herrscher an Unvergänglichem geschaffen hatten. Die Pharaonen zum Beispiel haben Pyramiden hinterlassen. Markus könnte sich schon für so etwas begeistern, aber vor dem Gedanken, sich schon zu Beginn der Amtszeit sein Grabmal errichten zu lassen schreckte er doch zurück. Schlösser bauen wie König Ludwig? Dazu war seine Zeit als Finanzminister noch zu nah. Aber für seine dritte oder vierte Amtszeit könnte man sich das ja mal vormerken. Markus erhob sich aus seinem Sessel, ging ein paar Schritte zu seinem Schreibtisch und machte sich eine Notiz: „Amtszeitbegrenzung nochmal überdenken!!!“ Er ließ sich wieder in den Sessel fallen, wobei sich wieder sein Rücken mit einem stechenden Schmerz meldete. Er sollte vielleicht doch mal was machen gegen diese immer wiederkehrenden Kreuzschmerzen! Vielleicht sollte er überhaupt nicht so Großes für den Anfang planen und etwas kleinere Brötchen backen. Mit etwas Bescheidenheit könnte er seine Ministerriege und das Wahlvolk überraschen. Während er sein Wasserglas in einem Zuge leerte, fielen ihm all die großen Staatenlenker ein, die es geschafft hatten ihrem Volk allgegenwärtig zu sein, indem Bilder von ihnen in allen Amtsstuben und auf allen öffentlichen Plätzen hingen. Das war’s! Er würde morgen im Kabinett anordnen, in einem ersten Schritt in allen Behörden Söder-Bilder aufzuhängen. Das wäre nicht zu dick aufgetragen und ließe sich leicht aus der kulturellen Prägung Bayerns ableiten. Berauscht von seiner Idee holte er gleich eines seiner wundervollen Portraits und stellte es im Schlafzimmer auf das Nachtkastl von Karin. Selig ging er zu Bett und schlief ein. Die Rückkehr von Karin hat er gar nicht mehr mitbekommen. Und so auch nicht ihren irritierten Blick auf das Foto an ihrem Bett. Markus musste früh raus, frühstückte hastig und während sich sein Fahrer redlich bemühte, rechtzeitig nach München zu kommen, erledigte Markus noch das Wichtigste zur Vorbereitung der Kabinettssitzung. Der Innenminister sollte seinen Plan in die Tat umsetzen. Mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz im Rücken sollte es ein Leichtes sein, die Bilder auch in widerspenstigen Behörden aufzuhängen. Sein Digital- und Medienminister sollte für den Feinschliff an den Bildern zuständig sein und die Ilse sollte schon mal ein Konzept für Söder-Bilder im öffentlichen Raum entwickeln. Die Kabinettssitzung begann, wie alle anderen Sitzungen bisher auch. Eine kleine Stichelei da, die Ankündigung großer Konzepte dort. Einer jammerte über die Doro, die ihm dieses blöde Flugtaxiprojekt eingebrockt hat. Ein anderer meinte, ob man sich nicht viel Arbeit sparen könne, wenn man Polizeiaufgabengesetz und Psychischkrankengesetz einfach zusammenfasst. Und dann kam endlich Markus‘ große Stunde. „Herrschaften“ hob er an „Herrschaften, in ein paar Monaten ist Landtagswahl. Wir haben nach wie vor eine kleine Schwäche auf dem rechten Flügel. Es ist an der Zeit, dass wir Zeichen setzen und das Volk wieder an unseren Beitrag zur kulturellen Identität erinnern. Deshalb ordne ich an, dass ab 1. Juni in allen Behörden…“ Markus erhob sich, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Dieser Schmerz! Ein furchtbarer Stich fuhr in seinen Rücken. Er schrie kurz auf „mein Kreuz,“ und beendete seinen begonnen Satz „…aufgehängt wird.“ So stand es dann auch im Protokoll der Sitzung. Und so kam es, dass nunmehr in den Amtsstuben keine Söderbilder, sondern Kreuze aufgehängt werden. Und der Markus jede Menge zu tun hat, sich alle möglichen Begründungen für diese Entscheidung auszudenken, um sie gegen all die Kritiker zu verteidigen. Als Markus spät Abends von der Arbeit heimkam, wollte er sich ein wenig ausruhen. Sein Blick fiel gleich auf Karins Nachtkastl. An der Stelle, wo er gestern noch sein Bild aufgestellt hat, lag nun ein Kreuz. |