Sputnik wie?
In diesen Tagen reden wieder alle, naja viele, also manche über Sputnik. Den Impfstoff aus Russland. Von dem niemand so genau weiß, ob und wie er eigentlich wirkt, den der Grömipraz aus Bayern aber schon mal bestellt hat. Bei "Impfstoff aus Russland" entstehen in mir Bilder von vergifteten russischen Bürgern und der feste Willen, mir so etwas niemals freiwillig spritzen zu lassen. Und ich werde in der nächsten Zeit Männer mit Regenschirmen meiden! Das Wort „Sputnik“ löst bei mir aber ganz andere Erinnerungen aus. Erinnerungen an einen verschneiten Wintertag, an den Schlitten mit der praktischen Rückenlehne und an meinen kleinen Bruder. In meiner Erinnerung bin ich fünf Jahre alt. Ich war ein aufmerksamer Radiohörer und heimlicher Lauscher bei den Gesprächen der Erwachsenen. Und so habe ich mitgekriegt, dass die Russen irgendetwas ins Weltall schossen, das man Sputnik nannte. Und ich hatte meine eigenen Vorstellungen im Kopf von Raketen und vom Weltall. Und dazu eine ererbte Angst vor Russen, vor denen meine Mutter aus ihrer Heimat Estland geflohen war. Als mein Vater an jenem Samstag erwähnte, dass er den Tag mit seinen Kumpels in der Werkstatt der Firma, in der meine Eltern damals arbeiteten, verbringen würde, um an einem Sputnik rumzubasteln, wurden all diese Bilder lebendig und formten sich zu einer Mischung aus Neugier und Forscherdrang. Ich wollte meinen Vater sehen, wie er diesen Sputnik fertig machte für der Flug ins Weltall. Warm eingepackt machten mein Bruder und ich uns auf ins Abenteuer. Ich glaube, es war das erste Mal, dass wir den Weg ganz alleine gingen. Wir zogen den Schlitten hinter uns her, stapften durch den Schnee, vorbei an den stillgelegten Wehrmachtsgebäuden und den Überresten des alten Zwangsarbeiterlagers. Wir ließen den dunklen Munitionsbunker genauso hinter uns wie die alte Färberei, in deren Heizhäuschen unter der Woche unser Nachbar die Kohlen schaufelte. Heute war dort ebenso geschlossen, wie im Zauberwald, der unter der Schneedecke gar nicht mehr so gespenstisch wirkte wie im Herbst, wenn der Wind die Blätter dazu bewegte, uns unheimliche Dinge zuzuflüstern. Wir waren bald da. Mit den ersten Geräuschen aus der Werkstatt wuchs bei mir die Vorstellung, dass mein Vater ungeheuer stolz sein würde auf seine Söhne, die den weiten Weg zu ihm und dem Sputnik geschafft haben. Und ich dachte daran, dass mein Vater vielleicht einer der ersten Menschen sein würde, der mit dem Sputnik ins Weltall fliegen würde. Ich öffnete die Werkstatttür, sah einige Männer, von denen ich einige kannte und von denen jeder mit irgendwas beschäftigt war. Und mittendrin Sputnik. Mit vier Rädern dran, einer Motorhaube, die geöffnet war und in die sich zwei Männer mit ihren Oberkörpern verkrochen hatten. Sputnik war ein alter Opel, den sich ein paar der Jungs gemeinsam zugelegt hatten, den sie zusammen herrichteten und dem sie in Erwartung technischer Höchstleistungen diesen zukunftsweisenden Namen gegeben hatten. Wie mein Vater reagiert hat, weiß ich eigentlich gar nicht mehr genau. Ich erinnere mich aber nicht daran, dass er uns geschimpft hätte, also kann ich davon ausgehen, dass er sich gefreut hat. Ich kann nicht sagen, dass ich enttäuscht davon war, dass es nur ein auf größenwahnsinnig getrimmter Opel war. Warum sollte ein Opel auch nicht ins All fliegen können? Das Abenteuer und die Vorstellung auf dem Weg war letztlich viel mehr wert als die schnöde Wahrheit. Und heute also soll Sputnik statt im Weltall um die Erde in meinem Körper kreisen? Ich glaube, so abenteuerlustig wie mit fünf Jahren bin ich heute nicht mehr. Und dann ist da ja noch die Geschichte mit den Russen… |